Interessanter Artikel auf Spiegel-online - Link zum Artikel - Gruß, Sultan Das schmutzige Geschäft mit der Einsamkeit (von Tobias Lill) Wer ein Abenteuer per SMS-Chat sucht, muss sich auf böse Überraschungen gefasst machen. Hinter vermeintlichen Traumpartnern verbergen sich häufig professionelle Animateure, die ihre Kunden mit Romantik oder schlüpfrigen Sprüchen versorgen. Gegen Bezahlung, versteht sich. Berlin - Es waren diese Momente, in denen sich Stefan Joachim* einfach nur elend fühlte. Wenn er wieder eine dieser Kurzmitteilungen las. Wenn ihm ein Mensch schrieb, wie einsam und verzweifelt er sich fühlt, und welche Sehnsucht er nach dieser einen großen Liebe hat. Auf Zärtlichkeit, Nähe und Hilfe hofften die Menschen auf der anderen Seite des Telefons. Doch Stefan brachte nicht die Lösung, keine Liebe, kein Verständnis. Stefan war Teil des Problems. Kurznachricht auf dem Handy: Die Antworten tippt ein schlaksiger Student So jedenfalls empfand es der 28-Jährige in jenen Monaten, in denen er als professioneller SMS-Chatter bei einem Anbieter von Sex-SMS in Berlin arbeitete. 1,99 Euro zahlten Kunden für eine Kurzmitteilung an jene unbekannte Schönheit, hinter der sich in Wahrheit Stefan, der schlaksige Student, verbarg. "Ich war immer genau das, was die Kunden haben wollten", sagt der junge Mann, der pro SMS sieben Cent mitverdiente. "Meistens spielte ich die blonde, vollbusige Diana, Anfang 30, die als Barkeeperin arbeitet und auf spontane Sex-Treffs steht", erinnert sich der Berliner. Wenn Bedarf war, schlüpfte er auch in die Rolle der "heißen Hausfrau oder des muskelbepackten Liebhabers". Bei zwei Dritteln der Kunden hatten die Kurznachrichten vor allem sexuelle Inhalte. "Da ging es dann zunächst meist darum, wie groß denn der Penis des anderen angeblich ist", sagt Stefan. Doch es habe eben auch noch die anderen Kunden gegeben; jene, die einfach nur jemanden zum Zuhören brauchten. "Etwa die Ehefrau, die mir schrieb, dass ihr Mann sie gerade verlassen hat und wie froh sie ist, mich kennenzulernen". Diesen Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen, habe der angehende Betriebswirt nach einigen Monaten einfach nicht mehr ausgehalten. Für ihn und die anderen Mitarbeiter, laut Stefan vor allem Studenten und Langzeitarbeitslose, habe es genaue Anweisungen gegeben, was erlaubt sei. Bei Jugendlichen durfte es generell nicht um Sex gehen. Antworten sollte man aber trotzdem. Wichtig sei es in der Kurzmitteilung stets eine Gegenfrage zu stellen. Etwa: Was hast du gerade an? Woran denkst du? Nur so sei gewährleistet, dass der andere auch zurückschreibt. Wenn das Opfer ein Treffen wollte, war Kreativität gefragt. Irgendwelche Gründe, etwa den Tod der Tante, gab es immer, warum man sich gerade nicht verabreden konnte. Wer die SMS-Süchtigen besonders lange hinhielt, bekam vom Chef einen Bonus. Verliebt in einen Menschen, den es gar nicht gibt Damit die Kunden bei einem Schichtwechsel im 24-Stunden-Betrieb nichts merken, wird der Verlauf der SMS-Dialoge mit jedem einzelnen Chatter säuberlich gespeichert. "Die wichtigsten sexuellen Vorlieben und andere Wesensmerkmale sind in einer eigenen, individuellen Kundenmaske auf dem Computer erfasst, damit auch der nächste Mitarbeiter gerade weiß, worauf der Kunde steht", erklärt Stefan. So glaubten die SMS-Schreiber stets, sie würden mit ein und der selben Person chatten. "Die verlieben sich in das Profil eines Menschen, den es gar nicht gibt." Ihre Opfer finden die SMS-Abzocker meist in Single-Börsen im Internet. Nicht selten seien Nachrichten von Leuten gekommen, die sich dafür entschuldigten, dass sie länger nicht geschrieben hatten. "Die hatten mein Telefon abgeschaltet. Aber jetzt bin ich wieder für dich da", hatte ihm etwa eine Frau geschrieben. Der Sexualwissenschaftler Kurt Seikowski kennt Fälle, in denen sich Menschen durch ihre Sucht nach SMS-Kontakten aufs Äußerste verschuldet haben. 50.000 bis 100.000 Bundesbürger sind laut Seikowski süchtig nach Online-Sex, viele davon auch nach kostenpflichtigen Kurzmitteilungen. In den vergangenen fünf Jahren habe sich die Zahl seiner Patienten verzehnfacht. Einmal behandelte er einen 19-Jährigen, der am Ende fast 3000 Euro pro Monat für SMS-Chats investierte. "Seine Mutter hatte sich verzweifelt an mich gewandt", erinnert sich der Sexualforscher. "Immer die übliche Masche" "Einsamkeit und Frust-Erlebnisse" seien die Hauptmotive solcher Menschen. Seikowski sagt: "An den Chats mit dem Handy schätzen die Süchtigen vor allem die vermeintliche Anonymität und den Reiz des Verborgenen." Das Problem betreffe alle Gesellschaftsschichten. "Die SMS-Chatter versuchen oft fehlende menschliche Nähe zu kompensieren", sagt der Vorsitzende der Gesellschaft für Sexualwissenschaft. Menschen mit stabilen Bindungen seien im Regelfall nicht betroffen. "Bei der Therapie ist es zunächst einmal wichtig, dem Betroffenen zu zeigen, dass man Verständnis für ihn hat", erklärt Seikowski. Dann müssten die Ursachen angegangen werden, etwa mangelndes Selbstbewusstsein. "Das kann bis zu einer Typ-Beratung reichen", sagt Seikowski. Bei dem 19-jährigen SMS-Junkie hatte der Leipziger damit offenbar Erfolg: "Er hat mittlerweile eine Freundin und fällt nicht mehr auf so etwas herein." Auch bei Verbraucherschützern kennt man die Methoden der SMS-Abzocker. "Es ist immer die übliche Masche: Den Leuten wird vorgespielt, sie hätten eine hübsche Blondine kennengelernt, und in Wahrheit chatten sie mit ein paar Studenten", sagt Brigitte Sievering-Wichers von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Die meisten Opfer zahlen - aus Scham Gerade erst hat sich ein Kunde mit einer 1000-Euro-Rechnung an den Verein gewandt. Die Chancen, dass er glimpflich davon kommt, stehen laut Sievering-Wichers nicht schlecht: So müssten Kunden in keinem Fall bezahlen, wenn die SMS-Anbieter den Preis für die Nachrichten nicht mitschicken. Doch auch wenn Unternehmen die Kosten offen anführen, könne sich eine Klage lohnen. So urteilte etwa das Münchner Landgericht: Wenn ein SMS-Chat vorgaukle, Kontakte zu attraktiven Frauen herzustellen, obwohl in Wirklichkeit bezahlte Mitarbeiter dahinterstecken, sei dies "unlauter". "Das Problem ist allerdings, dass die meisten Opfer aus Scham lieber bezahlen. Wer gibt schon zu, mit Sex-SMS reingelegt worden zu sein?", so Sievering-Wichers. Strafrechtlich sei die Sex-SMS-Schwemme bislang kein Thema. Sievering-Wichers: "Das Problem liegt darin, die Betrugsabsichten zu beweisen." *Name von der Redaktion geändert
Dieser Beitrag ist für Gäste unsichtbar. Um diesen Beitrag lesen zu können, logg Dich bitte ein. Solltest Du keinen Account haben,registrier Dich bitte um den Beitrag lesen zu können. Die Registrierung ist kostenlos und dauert nicht lang.
Dieser Beitrag ist für Gäste unsichtbar. Um diesen Beitrag lesen zu können, logg Dich bitte ein. Solltest Du keinen Account haben,registrier Dich bitte um den Beitrag lesen zu können. Die Registrierung ist kostenlos und dauert nicht lang.
Dieser Beitrag ist für Gäste unsichtbar. Um diesen Beitrag lesen zu können, logg Dich bitte ein. Solltest Du keinen Account haben,registrier Dich bitte um den Beitrag lesen zu können. Die Registrierung ist kostenlos und dauert nicht lang.
Dieser Beitrag ist für Gäste unsichtbar. Um diesen Beitrag lesen zu können, logg Dich bitte ein. Solltest Du keinen Account haben,registrier Dich bitte um den Beitrag lesen zu können. Die Registrierung ist kostenlos und dauert nicht lang.
Dieser Beitrag ist für Gäste unsichtbar. Um diesen Beitrag lesen zu können, logg Dich bitte ein. Solltest Du keinen Account haben,registrier Dich bitte um den Beitrag lesen zu können. Die Registrierung ist kostenlos und dauert nicht lang.