Jahrgänge 1942, '57, '72 VON VOLKMAR SIGUSCH (FR, 18.05.06) Endlich können wir das Sexualleben mehrerer Generationen empirisch miteinander vergleichen. Denn die Sexualforscher Gunter Schmidt, Silja Matthiesen, Arne Dekker und Kurt Starke haben 776 Männer und Frauen der Geburtsjahrgänge 1942, 1957 und 1972 aus Hamburg und Leipzig in einer DFG-Studie zu ihrem Liebesleben befragt (Spätmoderne Beziehungswelten, VS Verlag für Sozialwissenschaften). Zur Zeit der Erhebung waren die Interviewten 60, 45 oder 30 Jahre alt. Was haben die Forscher herausgefunden? Ein Ergebnis habe ich schon in der letzten Kolumne verraten: Rund 95 Prozent aller Sexualakte spielen sich in festen Beziehungen ab; ein Prozent ereignet sich in Außenbeziehungen, und die Singles, die in der Stichprobe 25 Prozent ausmachen, bringen es nur auf fünf Prozent des Gesamtaufkommens. Wird danach gefragt, welche Rolle die Ehe spielt, kann ergänzt werden: Bei den 60-Jährigen ist die eheliche Sexualität noch quantitativ entscheidend; 75 Prozent der Akte finden in ihr statt. Bei den 45-Jährigen ist es nur noch gut die Hälfte, und bei den 30-Jährigen sind es sogar nur noch 20 Prozent. An diesen Ergebnissen kann abgelesen werden, dass sich die Sexualität heute nicht mehr überwiegend in ehelichen, sondern in nichtehelichen Beziehungen abspielt. Ein anderes Ergebnis ist ebenso interessant: Danach gefragt, welche Praktiken "beim letzten Sex" angewandt wurden, stellt sich heraus, dass hoch signifikant nur der Mundverkehr bei den jüngeren Generationen zugenommen hat. Während ihn von den 60-Jährigen knapp 30 Prozent angaben, waren es bei den Jüngeren um 50 Prozent. Der Vaginalverkehr kommt unverändert häufig vor, der Analverkehr hat nichtsignifikant, also ganz wenig zugenommen, und das Küssen sowie manuelle Praktiken sind bei den Jüngeren offenbar etwas beliebter, kommen um drei bis zehn Prozent häufiger vor. Ansonsten haben die beiden jüngeren Generationen in den letzten zwölf Monaten bestimmte Dinge signifikant häufiger praktiziert als die heute 60-Jährigen: Sie haben Reizwäsche getragen, an öffentlichen Orten verkehrt, Dildi benutzt und milde sadomasochistische Spiele ausprobiert. Beim richtigen SM, beim Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts oder beim Partnertausch gab es dagegen keinen Generationensprung. Über 90 Prozent aller Befragten wünschen, dass der Partner treu ist, oder verlangen es sogar. Besonders streng sind die 30-Jährigen. Und von Männern wird häufiger Treue verlangt als von Frauen. Doch wie treu sind die fest Befreundeten tatsächlich? Im statistischen Mittel haben heute 30 bis 60 Jahre alte west- und ostdeutsche Großstädter alle 13 Jahre eine sexuelle Affäre. Anders gerechnet: In 100 Beziehungsjahren kommt es zu sieben Seitensprüngen. Männer aller Generationen waren in den letzten drei Jahren ihrer Beziehung gleichermaßen zu 20 Prozent untreu. 45- und 30-jährige Frauen dagegen sind es heute signifikant häufiger als 60-jährige Frauen, das heißt sie sind so häufig untreu wie die Männer. Werfen wir noch einen Blick auf den Zusammenhang von sexueller Aktivität sowie Alter der Partner und Dauer der Beziehung. Nach den westeuropäischen Surveys der letzten Jahre beeinflusst die Beziehungsdauer die Koitusfrequenz stärker als das Alter. Diesen Befund bestätigen die deutschen Forscher: In allen Altersgruppen sinkt die Koitusfrequenz mit der Dauer der Beziehung. Das Alter hat demgegenüber einen signifikant geringeren Einfluss. So verkehren 60-Jährige, die in gleich langen Beziehungen leben wie 30-Jährige, statistisch nicht seltener.