Frauen als Ware- ein einträgliches Geschäft

Interressanter Artikel über Zwangsprostitution und Menschenhändler:

Frauenhandel nach Deutschland
Frauen als Ware - ein einträgliches Geschäft
Erschienen am 13. Oktober 2008
Von Alice Gundlach

Eine Prostituierte wartet in einem Berliner Bordell auf Freier
(Quelle: dpa)

Elena ist 19 Jahre alt, als sie in die Fänge der Menschenhändler gerät. Dabei hörte sich für die junge Frau aus Litauen alles so vielversprechend an. Ein Bekannter ihres Nachbarn erzählt ihr im Sommer 2002, er könne ihr einen Job als Küchenhilfe oder Erntehelferin in Deutschland verschaffen. Das Leben in ihrem kleinen Dorf, wo sie zwischen Armut und Alkoholismus aufgewachsen war, bietet ihr keine Perspektive. Elena willigt ein.

Einige Monate später in einer Stadt in Baden-Württemberg: Im Morgengrauen sitzt Elena vom Regen durchnässt, zitternd und verängstigt in einem Hauseingang. Ihr Körper ist zerschunden von unvorstellbaren Strapazen. Eine Passantin hilft ihr auf und überredet sie, zur Polizei zu gehen.



Hoffnung ist größer als Angst
Es ist seit Jahren dieselbe Masche, und sie funktioniert immer wieder, von Weißrussland über die Ukraine bis nach Nigeria. Ein Anwerber erzählt den jungen Frauen, dass er ihnen eine Arbeit in Westeuropa vermitteln kann. Viele der jungen Frauen sind sicherlich am Anfang misstrauisch, aber der Wunsch, der Armut und der Arbeitslosigkeit zu entfliehen, ist größer als die Angst.

Hinter der Grenze ist es zu spät
So lassen die Frauen sich ihre Pässe abnehmen und dann nach Deutschland oder in andere westeuropäische Länder bringen. Die Grenze überqueren sie oft quasi-legal, entweder mit einem Touristenvisum oder gefälschten Papieren. Wenn sie feststellen, woraus ihre Arbeit wirklich bestehen wird, ist es zu spät.

Zu viel Angst, um wegzulaufen
Gleich nachdem Elena in Deutschland ankommt, wird sie das erste Mal vergewaltigt. Man erzählt Elena, dass sie nun hohe Schulden habe, wegen des Transfers nach Deutschland. Sie wird an ein Bordell in Norddeutschland verkauft. Der Besitzer will sie nach wenigen Tagen wieder loswerden, weil sie sich auch mit Prügel und noch mehr Geldstrafen nicht gefügig machen lässt. Der Menschenhändler bringt sie in ein Einzimmer-Apartment nach Baden-Württemberg, wo sie die kommenden Monate mit ihm wohnt. Raus darf sie nur, um auf den Strich zu gehen. Wegzulaufen traut sie sich nicht: der Zuhälter hat ihr erzählt, sie müsse für zehn Jahre ins Gefängnis, wenn sie in Deutschland ohne Papiere aufgegriffen werde.

Nächtliche Flucht vom Balkon
Es wird immer schlimmer. Weil sie sich weiterhin gegen ihre Ausbeutung wehrt, redet ihr Peiniger mit anderen in ihrer Anwesenheit laut darüber, sie umzubringen und ihre Organe zu verkaufen. Eines Nachts überwindet sich Elena, klettert heimlich vom Balkon und rennt um ihr Leben, in eine ihr völlig fremde Welt hinein.

Riesige Gewinnspannen
Der Handel mit Menschen ist eines der einträglichsten Geschäfte überhaupt. Die Gewinne sind viel höher als bei Drogen- und Waffenhandel. Es sind nahezu keine Investitionen nötig, die Gewinnspanne ist daher enorm. Dem "Bundeslagebild Menschenhandel" von 2004 zufolge erwirtschaftet eine Zwangsprostituierte zwischen 35.000 und 100.000 Euro im Jahr. Steuerfrei.

Spezialisierte Banden agieren international
Beim Geschäft mit den Frauen arbeiten zahlreiche Gruppen miteinander. Es beginnt mit den Anwerbern im Ursprungsland, die oft Bekannte, manchmal sogar Verwandte der späteren Opfer sind. Diese vermitteln sie in die Hände der Schleuser. "Nicht selten sind es spezialisierte, meist ausländische Gruppierungen, die längst Einfluss im bundesdeutschen Rotlicht haben", sagt Manfred Paulus, Ex-Kriminalhauptkommissar und Menschenhandelsexperte. Das deutsche Prostitutionsmilieu werde vielerorts von Albanern, Türken, Russen, Ukrainern, Gruppierungen vom Balkan oder Libanesen beherrscht.

Bordelle als "Wellness-Center" getarnt
Die Frauenhilfeorganisation Solwodi ("Solidarity with Women in Distress") beobachtet in Deutschland einen Trend zu Großbordellen, die sich oft nach außen als "Wellness-Center" tarnen. Mit Sauna, Fitnessgeräten und Schwimmbad sollen diese Häuser Kundengruppen locken, die nicht in gewöhnliche Bordelle gehen. Die Arbeitsbedingungen für die Frauen dort sind aber manchmal entwürdigender als in einem ordinären Puff, berichtet Solwodi-Mitarbeiterin Cornelia Filter: "Die Frauen müssen sich ausschließlich unbekleidet in den Häusern bewegen, dürfen nicht telefonieren und nur mit Genehmigung nach draußen."

Sie ahnen nicht, wie schlimm es wird
Bis zu 16 Stunden am Tag müssen sie dort arbeiten und vorgegebene Sexpraktiken vollziehen - "40 Mal Oralverkehr hintereinander, ohne Kondom", nennt Filter als Beispiel. Auch wenn mittlerweile viele der Frauen wissen, dass sie sich prostituieren sollen, rechnen sie nicht mit derart menschenverachtenden Methoden. Auch das ist Zwangsprostitution.

Die Verantwortlichen bleiben im Hintergrund
Als Geschäftsführer dieser Großbordelle fungieren dem Augsburger Kripochef Klaus Bayerl zufolge oft Strohmänner. Die tatsächlich Verantwortlichen - Schwerkriminelle mit Beziehungen zur Organisierten Kriminalität - agierten im Hintergrund.

Bordelle wollen "vielfältiges Angebot"
Mindestens 75 Prozent der Zwangsprostituierten in Deutschland kommen heute aus Osteuropa. Doch neuerdings floriert auch der Handel mit Afrikanerinnen, vor allem aus Nigeria. "Der Freiergeschmack hat sich offenbar geändert," sagt Filter zynisch. Vor der deutschen Wiedervereinigung habe es viel mehr Asiatinnen in deutschen Bordellen gegeben. "Dann waren plötzlich nicht mehr exotisch aussehende Frauen gefragt, sondern willfährige Sklavinnen", so Filter. Heute legten die Bordelle Wert darauf, sozusagen von allem etwas im Angebot zu haben.

Traumatisierte Frauen brauchen eine Perspektive
Beraterinnen von Solwodi werden von der Polizei gerufen, wenn die Ermittler ausländische Prostituierte in Bordellen aufgreifen, die möglicherweise zu Sexdiensten gezwungen wurden. Viele sind illegal in Deutschland, können gar kein Deutsch und sind schwer traumatisiert. Mit einer Dolmetscherin, Therapeutinnen und einer Perspektive im Gepäck gelingt es ihnen oftmals, Frauen zur Aussage gegen ihre Peiniger zu bringen.

Wenn Männerstimmen zum Horror werden
So wie Sladjana aus Rumänien. Mit 17 Jahren wurde sie von Menschenhändlern nach Deutschland gebracht. Nachdem sie von der Polizei aufgegriffen wurde, brachte eine Solwodi-Mitarbeiterin in eine Schutzwohnung. Doch dort war der Alptraum für Sladjana nicht vorbei. "Das Mädchen war damals so traumatisiert, dass sie sich sofort unter der Bettdecke verkroch, wenn sie durch ein offenes Fenster draußen auf der Straße eine Männerstimme hörte", berichtet Schwester Lea Ackermann, die Gründerin von Solwodi. Mit Hilfe der Organisation besucht das Mädchen heute eine Berufsfachschule und beginnt bald eine Ausbildung als Schneiderin. Das Motto von Ackermann: "Was diesen Frauen und Mädchen hier in Deutschland angetan wurde, muss auch hier wieder gutgemacht werden."

Nur wenige Opfer werden gefunden
Experten gehen von bis zu 200.000 zum Sexgeschäft gezwungenen Frauen hierzulande aus. Die jüngsten vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Zahlen stimmen daher wenig optimistisch: Die Polizei ermittelte im Jahr 2007 mit 689 Fällen elf Prozent weniger Opfer von Menschenhandel als im Jahr zuvor. Die meisten Opfer sind entweder nicht ermittelbar, oder die Polizei kann ihnen nicht helfen.

Frauen wollen oft nicht aussagen
Denn sind Zwangsprostituierte erst einmal aufgegriffen, schweigen sie meist bei der Polizei. Viele der Frauen sagen aus, dass sie sich freiwillig prostituieren. "Die Opfer haben Angst, dass ihre Peiniger ihren Angehörigen etwas antun, oder sie schämen sich einfach," erklärt Paulus. Oft befürchten sie, dass die Polizei ihnen gar nicht helfen werde, sondern genauso korrupt und gewalttätig ist, wie die Frauen es unter Umständen aus ihren Heimatländern kennen.

Viele werden mehrmals Opfer
"Die Migrationsbereitschaft geht auch manchmal so weit, dass Frauen, die schon Opfer wurden, sagen: Ein zweites Mal passiert mir das nicht mehr - und sich erneut täuschen lassen", sagt Paulus. Andere werden schnell aus Deutschland abgeschoben, nur um dann in ihrem Heimatland von den Schleppern sofort wieder eingefangen und zurückgeschickt zu werden.

Alptraum für Richter: Zuhälter vor Gericht
Und selbst wenn es zu einem Prozess kommt, gibt es selten angemessene Urteile, schon allein wegen der Situation im Gerichtssaal. "Dort gibt es immer wieder größte Probleme, weil Angeklagte und Zeugen Milieupersonen sind, die nur die ungeschriebenen 'Milieugesetze' kennen und nur nach diesen handeln," erläutert Paulus. "Es wird geschwiegen, gelogen, die Zuhälter-Anwälte arbeiten mit Einschüchterungsmethoden." Das erlebte auch die Solwodi-Mitarbeiterin Soni Unterreitheimer bei einem Prozess in Augsburg. Die Verteidiger des Täters kamen in der Befragung der aussagewilligen Frau mit Unterstellungen wie "Du wolltest das doch auch, sonst wärst du ja weggelaufen". "Plötzlich wird die Opferzeugin zur Angeklagten," sagt Unterreitheimer.

Urteile gegen Zuhälter sind selten
Dazu wird der Gerichtssaal gerne mit ausgesuchten Personen besetzt, die die Verhandlung mit Zwischenrufen und Gegröle aufhalten. Zum Schluss wird der ganze Prozess ad absurdum geführt: "Wiederholte Beweisanträge der Zuhälter-Anwälte zwingen nicht selten zu einem Deal", erklärt Paulus. "Die Folge davon: es gibt keine Urteile gegen die Täter." Die Gefahr für die Zuhälter und Schleuser, erwischt und bestraft zu werden, ist also sehr gering. Nur manchmal gibt es Lichtblicke: Elena, die zu Solwodi kam, sagte vor Gericht aus - ihr Zuhälter wurde verurteilt.

Auch Strafen für Freier geplant
Menschenrechtsorganisationen wie Solwodi oder auch Amnesty International fordern schon lange, auch Freier rechtlich zu belangen, die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nehmen, von der sie annehmen müssen, dass sie dazu gezwungen wird. Im Mai diesen Jahres legte nun die Bundesregierung ein Papier vor, in dem sie fordert, die Freier von Zwangsprostituierten mit Haftstrafen bis zu zehn Jahren zu belangen.

"Unrechtsbewusstsein schärfen"
Auf dieses Gesetz wartet die Organisation Solwodi sehnsüchtig. Zwar ist den Mitarbeiterinnen dort sehr wohl bewusst, dass es sehr schwer sein wird, einem Freier nachzuweisen, dass er sich wissentlich der Dienste einer Zwangsprostituierten bedient hat. "Aber es würde zumindest das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung schärfen," meint Filter.

 

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