Klar findet er im lebensprallen Südamerika mühelos eine verständnisvolle Puffmutter

Dieses Thema im Forum "Dies und Das aus dem Rotlichtviertel" wurde erstellt von Gerd, 20. Dezember 2004.

  1. Gerd

    Gerd Gesperrt

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    Denn er hat ja nie geliebt, er hat immer nur gefickt

    _Márquez' "Huren-Roman"

    ... da diese Spätphase nach einem langen Leben von Erfahrungen und Experimenten zu liegen pflegt -- jedenfalls im heißen Lateinamerika --, stellt sich bei solcher altersweisen Vorstellungssexualität nahezu zwangsläufig eine gewisse wählerische Verfeinerung, aber auch begreifliche Hemmungslosigkeit des Geschmacks ein -- das erotische Hausbrot will nicht mehr so recht munden, denn es geht ja nicht mehr im Ernst um Hunger, sondern um ein Gelüst.

    Also sollen, so meldet es jedenfalls die schöne Literatur vieler Länder, ganz alte Männer sich gern besonders heftig um ganz junge Mädchen bemühen, Greise um halbe Kinder.


    Der Altersabstand des Helden von Gabriel García Márquez‘ neuem Roman "Erinnerung an meine traurigen Huren" zu seiner letzten Geliebten beträgt genau 76 Jahre.

    Er ist neunzig, sie ist vierzehn. Er ist eine Grand Old Schachtel des hauptstädtischen Journalismus, berühmt durch eine "Sonntagsglosse", die seit mehr als sechzig Jahren Woche für Woche erscheint und nicht mehr ist als eine harmlose Plauderei zu den unpolitischen Fragen des Lebens; sie näht Knöpfe an in einer Kleiderfabrik.

    Er hat das Gesicht eine Pferdes und, mit Verlaub, das "Geschlechtsorgan eines Esels", ist also, um es mal mit einem Wort zu sagen, ein versauter dreckiger alter Bock; sie ist Jungfrau, duftend in der Reinheit knospender Weiblichkeit ...

    ... er lebt in dem verfallenden Stadtpalazzo seiner Eltern, inmitten einer großen Bibliothek, welche die ganze Weltliteratur enthält; ob sie überhaupt schreiben kann, bleibt unklar.

    Es mag langweilig erscheinen, all diese achsensymmetrisch um die gedanklich leere Mitte angeordneten Oppositionen aufzuzählen -- es ist nur halt immer so, dass der bonbonfarbigste, grellste Kitsch stets mit den kahlsten, eckigsten Grundrissen zu arbeiten pflegt: Ach, Hässliches, du hast so was Verlässliches.

    Die Sache kommt in Gang, weil der greise Held sich zu seinem neunzigsten Geburtstag noch etwas gönnen möchte, nämlich eine unberührte Jungfrau.

    Klar findet er im lebensprallen Südamerika mühelos eine verständnisvolle Puffmutter, die ihm das Gewünschte besorgt. Vielleicht hätte sie das nicht für jeden getan -- doch für einen alten Stammkunden legt sie sich ins Zeug.

    Denn, das erfahren wir so peu à peu, der hässliche geile Sonntagskolumnist war bei den Huren seiner Stadt ein beliebter Stammkunde: Seit er selbst im Alter von zwölf Jahren zum Manne gemacht wurde, indem eine pralle Prostituierte sich auf ihn setzte, vögelte er sich bis in sein achtes Lebensjahrzehnt ebenso regelmäßig wie wahllos durch den kleinen örtlichen Garten der Lüste.

    Es ging dabei, trauriger- aber auch einfacherweise, nie um Liebe, sondern nur um die Lust für sein eselsgleiches Organ.

    Jetzt aber, mit neunzig: Kontrast, Kontrast! Auch im höchsten Alter ist noch neues Erleben, ist noch Entwicklung möglich. Wer befürchtet hatte, diesen Pferdesel in grauenhafter Brutalität ein allerzartestes Jungfernhäutchen durchstechen sehen zu müssen, der wird -- angesichts der bitterschweren Tonlage der Erzählung allerdings kaum überraschend -- eines Besseren belehrt.

    Im Stundenzimmer trifft der Sonntagsesel seine Maid schlafend an; ist es Schreck, ist es Flucht oder nur das Baldrianpillchen der klugen Puffmadam?

    Von einem Film feinsten frischen Mädchenschweißes umhüllt, liegt die kleine Delgadina im roten Licht auf ihrem Bett und schlummert holdselig atmend.


    Hier nun gelangt der Roman an seinen Ideenkern. Der aktiv begehrende Intellektuelle redet mit dem stummen dämmernden Naturwesen, der Mann mit dem Mädchen, die Geilheit mit der Zartheit, das Alter mit der Kindheit. Sie verstehen einander prächtig, denn es ist die Kommunikation eines Sprechenden mit einer Wortlosen.

    Er legt sich neben sie -- angetan nur mit einer Unterhose, auf der rote Lippenstift-Kussspuren aufgedruckt sind, ein passendes Geburtstagsgeschenk für so einen viven Neunzigjährigen -- und redet auf sie ein. Natürlich hat er das dringlich unabweisbare Gefühl, dass das schlafende Ding ihn "versteht".


    Aus dieser Konstellation wird die letzte Besessenheit des Greisen -- und, man ahnt es längst, seine allererste Liebe. Denn er hat ja nie geliebt, er hat immer nur gefickt. Der ewige Selbstverwöhner am fremden Objekt wird zum zarten, hingebungsvollen Verehrer. Sie schläft, er spricht -- die Kommunikation klappt reibungslos. Nacht für Nacht kehrt nun Esel ein bei Jungfrau; er staffiert das öde Zimmerchen mit einem Väschen, Blumen, ein paar Bildern aus. Er legt sich neben die Schweißüberflossene, schamhaft in der Unterhose und erzählt ihr sein Leben, sein Denken. Sie döst einfühlsam zustimmend ... #


    GABRIEL GARCÍA MÁRQUEZ:
    Erinnerung an meine traurigen Huren. Roman. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2004. 160 Seiten, 16,90 Euro.

    SZ v. 14.12.04
     
    Zuletzt bearbeitet: 20. Dezember 2004
  2. von ex-DA
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  3. von latinalover
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