Steuerchaos im Frankfurter Rotlichtmilieu

Dieses Thema im Forum "Dies und Das aus dem Rotlichtviertel" wurde erstellt von Amicus vaginae, 28. März 2007.

  1. von Amicus vaginae
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    Prostitution ist in Frankfurt nicht als Gewerbe anerkannt. Doch bei Polizeikontrollen wird verstärkt nach Gewerbescheinen gefragt - die die Stadt gar nicht ausstellt.

    Frankfurt - Mehr als 50 ausländische Prostituierte haben sich in den vergangenen Monaten bei Juanita Henning gemeldet. Henning ist Vorsitzende des Vereins "Doña Carmen", der sich für die sozialen und politischen Rechte für Prostituierte einsetzt. Die Frauen seien verunsichert und hätten Angst. Der Grund sind verstärkte Polizeikontrollen in den Bordellen, die von anderen Beratungsstellen des Milieus bestätigt werden. Kontrollen, bei denen die Beamten mit so genannten Platzverweisen drohen, das heißt, die Frauen müssen ihren Arbeitsort verlassen, können sie die geforderten Papiere nicht vorweisen.

    Unter anderem fragten die Polizisten nach einem Gewerbeschein, so Henning. Dabei könnten Prostituierte in Frankfurt kein Gewerbe anmelden. Henning spricht von "Schikane und Nötigung". Gegen diese Aussage verwehrt sich Polizeisprecher Jürgen Linker. Die Beamten seien zwar verpflichtet, dem Finanzamt Amtshilfe zu leisten, doch "die Überprüfung aller Meldepapiere ist Standard." Auch Gewerbescheine würden kontrolliert, räumt Linker ein. Den Grund vermutet er in der uneinheitlichen Besteuerung von Prostituierten in Deutschland, die die Beamten verwirre.

    Denn während nach dem neuen Prostitutionsgesetz in vielen Bundesländern und Kommunen Prostitution als Gewerbe gilt, vertritt Frankfurt eine andere Position: "Auch nach In-Kraft-Treten des Prostitutionsgesetzes ist die Prostitution kein Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung", teilte das Kassen- und Steueramt Frankfurt, Abteilung Gewerberegister, am 22. Februar mit.

    Einkünfte aus Gewerbebetrieb

    Dagegen spricht das örtliche Finanzamt von einer gewerblichen Tätigkeit: "Wer als Prostituierte/r selbstständig tätig ist, erzielt steuerliche Einkünfte aus einem Gewerbebetrieb", lautet die Stellungnahme der Oberfinanzdirektion auf Anfrage der FR. Damit gelten sie zwar steuerlich als Gewerbetreibende, benötigten aber keinen Gewerbeschein, wie Steuerfachanwalt Guntram Knop bestätigt. Und erst ab einem Gewinn von 24 500 Euro müssten sie Gewerbesteuer zahlen.

    Allerdings scheint diese Besonderheit nur wenigen Beamten in den Finanzämtern bekannt zu sein. Die Beratungsstelle "Tamara", deren Träger die Diakonie Frankfurt ist, berichtet von falschen Auskünften der Behörden. Mit der Absicht, eine Steuernummer zu beantragen, seien ihre Klienten zum Finanzamt gegangen, jedoch wegen eines "notwendigen" Gewerbescheins abgewiesen worden, berichtet Sozialarbeiterin Monika Hoffmann.

    "Tamara" hat daraufhin einen Brief an die Finanzbehörden einschließlich der Oberfinanzdirektion geschickt und den Sachverhalt erläutert. Ein Amtsleiter hat bisher geantwortet: Er werde seine Mitarbeiter informieren, kenne aber Kollegen, die dafür "keine Notwendigkeit" sähen.

    Unwissenheit und Furcht

    Beratung sei also nötig, sagt Hoffmann. Doch nicht jede Prostituierte sucht die Beratungsstellen auf. Nicht selten gingen sie aus Unwissenheit und Furcht nach den Polizeikontrollen zum Gewerbeamt und stellten einen entsprechenden Antrag. Allerdings seien die Gewerbescheine nicht auf Prostitution ausgestellt - schließlich sei dies nicht möglich, bestätigt der stellvertretende Leiter des Kassen- und Steueramtes, Hanns-Joachim Kühn. Stattdessen lauten sie auf Masseuse, Tänzerin oder Hostess. Angemeldet auf die Adressen stadtbekannter Bordelle.

    Für "Doña Carmen" ist dies ein klarer Hinweis, dass die Prostituierten zur Falschangabe genötigt werden. Einen ganzen Stapel dieser "Fantasie-Gewerbescheine" hat Henning vor sich liegen. Einen Stapel, der rechtliche Probleme birgt. "Denn eine auf Falschangaben beruhende Gewerbeanmeldung gilt als Ordnungswidrigkeit." Sie vermutet ein Komplott von Polizei und Finanzamt "mit dem Ziel, die Frauen in Frankfurt steuerpflichtig zu machen."

    Denn als EU-Angehörige und freiberufliche Erwerbstätige haben sie das Recht, ihre Einkommenssteuer in ihrem Heimatland zu entrichten - gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen und wenn ihr Lebensmittelpunkt nicht in Frankfurt liegt. Die Gewerbesteuer aber ist dort zu entrichten, wo das Gewerbe betrieben wird, das heißt: in Frankfurt am Main.

    Die "Vermutung" von Juanita Henning teilen "Tamara" und die Organisation "Frauenrecht ist Menschenrecht" nicht. Vielmehr seien die falschen Angaben auf den Gewerbescheinen darauf zurückzuführen, dass die Frauen sich schämten und ihre Arbeit - in zumeist schlechtem Deutsch - nur umschrieben. Behördenchef Kühn erläutert die amtliche Sicht der Dinge: "Wir sind eine reine Registratur. Mit welcher Tätigkeit sich jemand anmeldet, müssen wir nicht überprüfen." Katharina Kütemeyer (FR)


    Hintergrundinfo

    Prostituierte arbeiten freiberuflich

    Das Prostituiertengesetz gilt seit dem 1. Januar 2002. Die drei Paragrafen sollen die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten verbessern. Maßgeblicher Punkt ist die nicht länger bestehende "Sittenwidrigkeit". Damit ist es Prostituierten möglich, rechtsgültige Verträge mit Versicherungen oder Banken abzuschließen.

    An der Steuerpflicht der Prostituierten ändert das neue Gesetz nichts. Einkünfte aus Prostitution sind seit jeher steuerpflichtig. Für die Steuererhebung ist es unwichtig, ob eine Tätigkeit, die unter das Steuergesetz fällt, gegen ein gesetzliches Verbot oder gute Sitten verstößt.

    Ist eine Prostituierte als freiberufliche Selbstständige tätig, unterliegt sie den gleichen Bestimmungen wie jeder andere Selbstständige auch. Das heißt, sie kann Betriebskosten, etwa für die Zimmermiete im Bordell, für Kondome und Gleitmittel, in unbegrenzter Höhe absetzen und somit die Steuerlast mindern.

    Bisher sind nur wenige Steuergelder aus dem Milieu geflossen. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen haben sich die Prostituierten aufgrund ihrer fast völligen Rechtlosigkeit geweigert, Steuern zu zahlen. Zum anderen gab es nur wenige Kontrollen seitens der Behörden. Erst seitdem das lukrative Gewerbe nicht mehr als sittenwidrig gilt, bemühen sich die Finanzämter um die Steuereinnahmen aus den geschätzten 14,5 Milliarden Umsatz. Zudem stehen sie durch die Kritik des Bundesrechnungshofs unter Handlungszwang. Er bemängelt, dass die Steuerpflicht von Prostituierten kaum geprüft werde.

    Allerdings ist es angesichts der Bezahlung in bar für das Finanzamt kaum nachzuvollziehen, wie viel Einkommen im Milieu erzielt wird. In vielen Kommunen haben sich Finanzbehörden und Prostituierte daher auf eine pauschale Vorabzahlung von täglich 20 bis 30 Euro geeinigt. Doch dies könnten nur "wirklich gut Verdienende" bezahlen, sagt Monika Hoffmann von "Tamara". küt (FR)
     
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